Nach vielen Jahren des Schattendaseins scheinen Graphic Novels auch in Deutschland bekannter und beliebter zu werden. Mit Comics im herkömmlichen Verständnis wie “Fix und Foxi” oder “Lucky Luke” haben Graphic Novels wenig gemein. Für den endgültigen Durchbruch muss wohl noch weiter gegen die Auffassung angekämpft werden, dass es sich bei Büchern mit vielen Bildern um minderwertige Literatur handelt. Wer es phantastisch mag, kann mit “Watchmen” einen wirklich tollen aber auch anschließend kaum zu übertreffenden Einstieg in diese Welt wählen. Etwas bodenständiger geht es mit der Umsetzung “klassischer Literatur” in Bildsprache. In diesem Bereich kann ich “Fahrenheit 451” als Graphic Novel empfehlen. Sicherlich leichter und schneller verdaulich als das Original aber ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten und Grenzen einer solchen “Comic-Version”.
Während Graphic Novels bislang eine US-Domäne sind, gibt es aber bereits deutsche Autoren die Stoff liefern für die Etablierung einer nationalen Szene. Reinhard Kleist hat dafür schon wertvolle Dienste geleistet. Er verarbeitet offensichtlich gerne Vorlagen oder orientiert sich an Biographien (“Cash”, “Elvis”).
Im Rahmen der Recherchen für “Castro” reiste Kleist im Jahr 2008 (also nach der Erkrankung Castros) nach Kuba. Die Atmosphäre dort beeindruckte den Autor offensichtlich, fiel dabei doch eine weitere Graphic Novel namens “Havanna - Eine kubanische Reise” ab. Darüber hinaus stand Kleist in Kontakt mit dem Castro-Biograph Volker Skierka. Offensichtlich lag ihm etwas an einer soliden Basis für seine Darstellung des ehemaligen kubanischen Staatpräsidenten.
Natürlich geht es in “Castro” um den “Máximo Líder”. Durch die Verknüpfung einiger Stationen dessen Lebens mit denen des fiktiven deutschen Reporters Karl Mertens wird der Gefahr einer sterilen Handlung begegnet. Diese Rahmenhandlung trägt durch die knapp 300 Seiten des Buchs. Dessen kern bilden natürlich wichtige Stationen aus Castros Leben, einige Anekdoten und Interpretation zu Castro und dessen Taten.
Was macht diese “Graphic Novel Biographie” über Fidel Castro interessant?
- Der Leser bekommt einen schnellen Überblick über wichtige Stationen des Lebens des berühmten Zeitgenossen.
- Das Medium unterstützt eine schlaglichtartige Erzählweise. So können viele Highlights in schneller Abfolge aneinandergereiht werden. Bei einer Verfilmung würde so etwas schon arg befremdlich wirken.
- Der Anspruch einer tatsächlichen Biographie wird bewusst nicht erfüllt. Dadurch ergeben sich Freiheiten für eine lebendige und teilweise phantasievolle Erzählung.
Wer sich wirklich intensiv mit Castro beschäftigen möchte, wird direkt oder nach der Lektüre von “Castro” zu einem Sachbuch zu dieser Person greifen. Für alle Neugierigen und mindestens mäßig Wissbegierigen ist diese Graphic Novel zu empfehlen. Besonders der Zwitter-Status zwischen Realität und Freiheiten des Mediums machen den Reiz dieses Werks aus.
Mein Bild von Castro ist geprägt durch die westliche Skepsis gegenüber diesem Mann, der die Amtzeiten eines knappen Dutzends US-Präsidenten überlebt hat. Daher wirkt dessen Darstellung in “Castro” auf mich ein wenig zu positiv. Aber so wird eben noch ein weiterer Denkanstoß gegeben. Vielleicht ist die Welt ja nicht so “schwarz und weiß” und klar wie die Zeichnungen dieser lesens- und sehenswerten Graphic Novel.
Der Autor über sein Werk:
Und noch ein kurzer TV-Beitrag dazu:
Den Reiz dieses Werks machten für mich aus:
Während ich weniger über Castro erfuhr als erhofft, wurden meine Erwartungen an die Umsetzung übertroffen.
Und empirische Tests haben ergeben: So eine Graphic Novel zu Castro wirkt im Zug cooler als ein iPad.