Der letzte Festivaltag ließ die bislang größte Anzahl an Besuchern erwarten, daher starten wir schon recht früh in den Tag. Den "Postillion" verfolge ich im Netz nicht regelmäßig, da fand ich es einen tollen Service, dass das Programm im Stile einer Nachrichtensendung auf die Bühne gebracht wurde. Die Show hatte ihre Momente (vor allem die Ankündigung des zweiten Bauabschnitts der Elbphilharmonie, an dessen Ende die Vervollständigung des "halben" Gebäudes in Form eines kompletten Rechtecks stehen wird sowie der Bericht über den Schläfer, der in seiner Wohnung verstarb, weil er seit 1995 auf die Fertigstellung des BER wartete...) aber auch einige flache Gags. Das Publikum tobte aber brav.
Son schien mir als passender musikalischer Start in den Tag. Die Aussicht auf Schatten vor der Waldbühne steigerte meine Vorfreude. Dieser Tag war übrigens der "kälteste" des Festivals. Regen war nicht in Sicht, aber einige Wolken sorgten für Erholung zwischen den Sahara-Momenten. Sons Album "An absence of colour" empfand ich als nett, aber auch als "nett". Timo Scharf und seine Band waren sehr sympathisch und der Auftritt war eben auch nett. Wie gesagt, ein angemessen relaxter Start in den für mich musikalisch wichtigsten Tag des diesjährigen Festivals.
Der Hamburger Kneipenchor ist eine beliebte Attraktion des Festivals. Kleine und kurzfristig angekündigte Auftritte sorgen für eine interessante Stimmung und viele Gerüchte um den tatsächlichen Auftrittsort. Songs wie "Home" von Edward Sharpe And The Magnetic Zeroes und "Freedom" von George Michael brachten die Damen und Herren sehr unterhaltsam dar.
In der Nähe durfte Tim Mälzer seine Kochshow als "Festival Kitchen" auf die Bühne bringen und er war dort ähnlich hektisch, wie man ihn eben so ansonsten auch kennt.
Uns verschlug es noch einmal in den Schatten der Waldbühne aber die Show des Reggaehasen Booo war uns dann doch zu hart. Familientauglichkeit wird bei "A Summer's Tale" groß geschrieben und die Macher verstehen es, sowohl für Familien als auch für Besucher ohne Kinder jeweils ein ansprechendes Programm auf einem Gelände zu gestalten. Dafür gibt es ein dickes Lob.
Bei den Shows der Tall Heights und Torpus & The Art Directors schaute ich nur kurz rein, ich wollte meine Energie für den Abend aufsparen.
Zwischenzeitlich suchte ich anderen Schatten in der Nähe der Sommerwiese. Dort probten gerade die "Hansemädchen". Im direkten Vergleich mit dem Hamburger Kneipenchor meine ich die für mich reizvollere Variante an diesem Tag bereits gesehen zu haben. Den Besuch beim tatsächlichen Auftritt der Damen sparte ich mir und so ging ich einem Terminkonflikt mit Kat Frankie aus dem Weg. Das nicht zu dicht gepackte Programm des Festivals empfand ich auch dieses Jahr als eine Wohltat. Auch das ist als Lob und Bestätigung für die Veranstalter zu verstehen.
Kat Frankie hatte ich bereits mehrfach in diesem Blog vorgestellt, u. a. ihr aktuelles Album "Bad behaviour". Nun konnte ich mich auch ihre Live-Qualitäten überprüfem. Live fand ich viele der mir bekannten Titel noch ein Stück weit überzeugender, weil druckvoller als auf Platte. Und wann sieht man schon eine komplett in rot gekleidete Band?
Oh Wonder habe ich mir nicht anschauen können, aber statt dessen an einer Weinprobe teilgenommen. Ab dem ersten Wein war die Stimmung dort schon ganz schön gut.
Meute kannte ich bislang noch nicht, aber ich wäre auch nicht auf den Gedanken gekommen, dass man mit Blasinstrumenten Techno-Musik imitieren kann. Das war für mich eine der Überraschungen des Festivals.
Ich hatte bereits erwähnt, dass das diesjährige Line-Up im Vergleich mit den Vorjahren als klaren "Abstieg" empfinde. Meine Anwesenheit konnte ich aber vor mir selbst damit rechtfertigen, dass am Abend die Band, die ich in meinem Leben bislang am häufigsten gesehen habe (Fury In The Slaughterhouse, die Mehrzahl der von mir besuchten Konzerte fand in der ersten Hälfte der 90er Jahre statt), die Band, die ich in den letzten Jahren am häufigsten besucht habe (Editors) sowie die Band, die ich schon lange mal und vor allem seit ihrem tollen roten Album live sehen wollte (Tocotronic) sich die Bühnen und den Abend teilten.
Die Editors hatte ich erst im März live gesehen. Daher erwartete ich keine Überraschungen. Tom Smith war wie immer der perfekte Entertainer und Ausdruckstänzer.
Im Vergleich zur Headliner-Tour tat den Editors die Beschränkung der Spielzeit auf eine Stunde sehr gut. Die Hit-Dichte war überzeugend und nach Kettcar war dies m. E. das stärkste Set des Festivals. Im Ablauf der Festivals sind die meisten Konzerte (auch die der bekannteren Acts) auf eine Stunde begrenzt. Daher wird von den meisten Künstlern auf das Zugaben-Spiel verzichtet. Diese Aspekte sowie die Tatsache, dass ALLE von mir besuchten Konzerte und sonstigen Darbietungen pünktlich begannen und endeten macht das A Summer's Tale Festival zu einem gut planbaren Event. Toll, weiter so!
Übrigens: Bei den Editors könnte man mal darüber nachdenken ob es sich lohnt, für nur einen Song ("The racing rats") das Piano auf die Bühne zu schleppen. ;-)
Tocotronic wollte ich eigentlich auf deren Tour zum roten Album besuchen, leider schaffte ich das nicht. Meine Hoffnung, viele der Songs während dieses Auftritts zu hören wurde nicht erfüllt. Die Band kann aus einem Repertoire von knapp 25 Jahren schöpfen und natürlich tat sie das auch. So geriet das Set rockiger als von mir erhofft. Dirk von Lowtzows Ansagen waren, nun ja, gewöhnungsbedürftig aber die Musik an sich tröstete darüber hinweg. Ich kenne wenige Bands, die so gut gealtert sind und vor allem gerade in den letzten Jahren immer besser wurden. Weiter so, Tocotronic.
Fury, oh Fury. Die Band leistete wichtige Beiträge zu meiner musikalischen Sozialisierung. Anfang der 90er Jahre war ich begeisterter Fan. Doch ich war froh, dieses Kapitel vor zehn Jahren in Hannover abschließen zu können. Mit dem Album "Brilliant thieves" ging es 1997 rapide bergab. Bezeichnenderweise fand mit "Riding on a dead horse" bis auf die neuen Titel "Words" und "30 (it's not easy)" kein weiterer Song der Alben der letzen 20 Jahre den Weg auf die Setlist des Festival-Auftritts (Irrtum nicht ausgeschlossen). Ich hatte bislang alle Wiederauferstehungen der Band ignoriert, aber im Rahmen des "A Summer's Tale" wurde ich ja quasi gezwungen, mich noch einmal mit der Band zu treffen.
Im Vorfeld kramte ich eines meiner ältesten Fury-Shirts aus dem Jahr 1991 heraus und ich trug es gerne am letzten Festival-Tag. Wie albern kamen mir da Besuchern mit Shirts aus diesem Jahrtausend vor. ;-)
Im Vergleich zur Fury-Headliner-Tour, die nach zwei weiteren Auftritten und der anstehenden Fury-Kreuzfahrt enden wird, musste die Band ihr Programm von ca. 2,5 Stunden auf 1,5 Stunden kürzen. Wie bei den Editors empfand ich diesen Umstand als einen Segen. Die Band gab sich wie in der Vergangenheit durchaus politisch engagiert. Sich kritisch zum amerikanischen Präsidenten zu äußern ist nun nicht sehr kreativ, aber ihm bei "Jericho" mit der Trompete das Haupthaar zum Fliegen zu bringen war schon nett.
Schön fand ich, dass Kai Wingenfelder "Won't forget these days" mit seinem eigenen Besuch bei "A Summer's Tale" vor zwei Jahren und dem damaligen Sigur Rós-Konzert verband.
Nennt mich spitzfindig, aber wer auch immer die Videos für den Hintergrund gestaltet hat (war es am Ende gar die Film-/Video-Firma des Sängers Kai Wingenfelder?), er hätte ja wenigstens so textsicher sein können zu wissen, dass es "Every generation got its own disease" heißt.
Ansonsten bot Fury die erwarteten Hits und in Ermangelung von Spielzeit außer "Hang the DJ" und dem neuen Folkrock-Song "Words" wenig Anlass zur Kritik. Vor Jahren hat sich Gero Drnek (verantwortlich für viele Instrumente bei Fury) darüber beschwert, dass für "Seconds to fall" noch immer das Akkordeon mitgeschleppt und vor allem ihm umgehängt wurde. Warum zum Teufel wird dieses Instrument nun für "Words" reaktiviert? ;-)
Die ersten beiden Zugaben "Kick it out" und "Cry it out" stimmten mich aber wieder versöhnlich. Schön, dass sich die Band noch an diese Songs erinnert und diese noch mit glaubhaftem Spielspaß darbieten kann. "Down there" lieferte mir noch einen schönen aha-Moment: Zu "meinen Zeiten" wurde bei diesem Song zur Imitation von Sternen mittels Feuerzeugen aufgerufen. Nun übernehmen diese Aufgaben Handys.
Musikalisch war der letzte Tag für mich der erwartete Höhepunkt aber entschädigte nicht für ca. drei bis vier interessante Bands, die mir dieses Jahr gefehlt haben.
Ansonsten:
- Die Festivalstimmung war fantastisch.
- Die kostenlose Abgabe von Wasser ein Segen.
- Die Organisation verlief nahezu perfekt. Kurzfristige Ausfälle von Künstlern wurden nach Möglichkeit kompensiert. Nach den Erfahrungen des Vorjahres war dieser zweite Besuch schon ein wenig wie "nach Hause kommen".
- Das kulinarische Angebot war abwechlungsreich. Gegenüber dem Vorjahr gab es wenige Änderungen. "Street food" ist in diesem Bereich das Angebot der Stunde. Die Tatsache, dass sich selbst ein TK-Direktvertrieb dort verdingt ist aber auch ein Zeichen dafür, dass dieser Trend seinen Höhepunkt vielleicht schon hinter sich hat. Street Food ist m. E. immer zu teuer, aber im Rahmen eines Festivals ist man ja stolze Preise gewöhnt und für den Aufwand, den bei diesem Festival getrieben wird, sind diese vermutlich sogar gerechtfertigt.
- Grundsätzlich begrüße ich den Versuch der Vermeidung von Einweg-Getränkebehältern. Warum jedoch Tetra Paks ok sind, handelsübliche PET-Flaschen aber nicht, kann ich nicht nachvollziehen.
- Ich habe mich noch immer nicht an die Pendelbusse nach Lüneburg herangetraut. Falls jemand Erfahrungsberichte mit mir teilen kann... bitte!
- Das Festival für 2019 ist schon angekündigt. Wenn das Line-Up stimmt, bin ich gerne wieder dabei.
Und der geheime Gewinner des Festivals ist: Dieses Luftsofa. Der einfach zu befüllende (eigentlich kein Aufpusten, je nach Fähigkeiten und Erfahrungen des Besitzers dauert der "Aufbau" 10 Sekunden bis mehrere Minuten, die allerdings viel Unterhaltung für Zuschauer bieten) große "Schlauch" war der Verkaufsschlager des auf dem Gelände vertretenen Outdoor-Ausstatters. Das ist keine Werbung, denn ich habe aus Gründen von einem Kauf abgesehen. Nach zwei Tagen waren alle Exemplare ausverkauft und der eilig herangekarrte Nachschub konnte den Bedarf auch nicht decken.