Nun doch wieder Hulda statt Helgi.
Mit „Hulda“ legt Ragnar Jónasson einen weiteren Band seiner erfolgreichen Thriller-Reihe vor und diesmal geht es zurück zu den Anfängen. Wer die bisherigen Romane kennt, wird überrascht sein: Er setzt damit erst einmal die mit "Frost" eingeleitete Hulda-Helgi-Serie weiter. Statt dessen ist "Hulda" ein Prequel und zeigt die Ermittlerin Hulda Hermannsdóttir als junge Frau, lange bevor sie zur erfahrenen Kommissarin wurde, die in den anderen Bänden agierte.
Island, 1980. Hulda ist 33 Jahre alt, ihre Tochter Dimma noch ein Kind, ihr Ehemann Jon kaum präsent – weder körperlich noch emotional. In einer Zeit, in der Frauen bei der Polizei noch Exoten sind, bekommt Hulda ihren ersten eigenen Fall: Ein Junge verschwand zwanzig Jahre zuvor spurlos aus dem Elternhaus. Nun taucht in einer abgelegenen Hütte ein Teddybär auf – das Lieblingsspielzeug des vermissten Kindes. Ein Hinweis, der endlich Licht ins Dunkel bringen könnte.
Gemeinsam mit einer jungen Kollegin wird Hulda in den Norden Islands geschickt – in eine Region, die geprägt ist von Einsamkeit, rauer Natur und verschlossenen Menschen. Die Ermittlungen verlaufen langsam, fast gemächlich. Gespräche mit den wenigen Bewohnern bringen kaum greifbare Ergebnisse, doch Jónasson gelingt es, aus diesen leisen Momenten eine dichte Atmosphäre zu weben. Es sind die kleinen Details, die zählen – die Andeutungen, das Schweigen, die Blicke.
Die Landschaft spielt dabei fast eine Hauptrolle: karg, still, geheimnisvoll. Man spürt die Kälte, die Isolation, aber auch die tiefe Verbundenheit der Menschen mit ihrer Umgebung. Jónasson erzählt nicht nur einen Kriminalfall, sondern zeichnet ein sensibles Porträt einer Gesellschaft im Wandel und einer Frau, die sich ihren Platz darin erkämpfen muss.
„Hulda“ ist ein Roman, den man auch ohne Vorkenntnisse der Reihe lesen kann. Wer die späteren Bände kennt, wird jedoch viele Nuancen entdecken, die Hulda als Figur noch greifbarer machen. Ein stiller, atmosphärischer Thriller, der weniger auf Action setzt als auf psychologische Tiefe und landschaftliche Dichte.
Ich bin mir unsicher, ob es ein Stilmittel des Autors ist oder ob "Hulda" aus anderen Gründen so geraten ist: Die Geschichte wirkt "einfacher", vielleicht naiver und spiegelt so eben auch die noch unerfahrenere Hulda wider. Kleinste gemeinsame Nenner mit "Dunkel", "Insel" und "Nebel" sind Reisen in die Vergangenheit und ein unfassbar cremiger Lesefluss.