Falls "Writing about music is like dancing about architecture" zutrifft, ist dieses Buch entweder die beste Bestätigung oder der perfekte Gegenbeweis. "Wir sind die Roboter. Kraftwerk und die Erfindung der elektronischen Pop-Musik" beschreibt nicht nur Kraftwerks Musik sondern zeichnet Verbindungen zu u. a. Bauhaus, Krautrock, (Detroit) Techno, den Folgen des 2. Weltkriegs, der technischen Entwicklung, Design, Digitalisierung, David Bowie, Afrika Bambaataa, Rammstein, DJ Hell, einem vereinigtem Europa, dem Internet, den Beatles, Literatur, Andy Warhol, Richard Wagner, Karlheinz Stockhausen, HipHop, Brian Eno, der Anti-Atomkraft-Bewegung, Fritz Langs Metropolis, Wernher von Braun, E.T.A. Hoffmann, Laibach, TV Serien, Giorgio Moroder, Boards of Canada, Vocoder/Auto-Tune, HAL 9000, Joseph Beuys u. v. a. m.. Den unbedarften Leser, der Kraftwerk als eine aus der Zeit gefallene Elektroband mit ein oder zwei Hits kennt, kann diese Aufzählung verwundert zurücklassen. Doch all diese Verknüpfungen stellt der Autor überwiegend glaubhaft dar.
Zweifellos handelt es sich bei Uwe Schütte um einen, wenn nicht den Kraftwerk-Kenner. Ebenso zweifellos handelt es sich um einen Hardcore-Fan der Band aus Düsseldorf. Ob es daran liegt oder ob er es als Stilelement nutzt: Der Aufbau des Buchs und vor allem sein Schreibstil passen zum sterilen Image der Band. Mutig sind stellenweise seine Interpretationen von Kraftwerk-Texten. Dort vermutet er annähernd prophetische Vorhersagen und Visionen. Man muss schon Kraftwerk-Fan sein, um dem Autor dort bereitwillig zu folgen. Aber wer soll solch ein Buch verfassen, wenn nicht ein Fan? So verklärt das Bild des Autors von der Band ist, so erbarmungslos geht es mit vermeintlichen "Abkömmlingen" oder Nachahmern Kraftwerks um.
Für mich war dieses Buch ein willkommener Anlass, mir die Alben der Band noch einmal komplett anzuhören. Es lieferte mir viele Hintergrundinfos zur Entstehung der Werke. 2022 habe ich Kraftwerk live in Bonn erlebt. Hätte ich dieses Buch schon vorher gelesen, hätte ich den Auftritt mit anderen Augen gesehen. Doch auch mit meinem damals weitgehend unbedarftem Blick durch die 3D-Brille konnte ich es genießen.
Und obwohl der Output der Band sich im Kern auf acht Alben beschränkt gibt Schütte einen guten Überblick über die Zweit- bis Drittverwertungen des Materials und somit über das Gesamtwerk inklusive der wichtigsten Tourneen der Band. Durch die Darstellung wird klar, dass es sich dabei um ein eigenes Universum handelt, welches durch "Wir sind die Roboter" hinreichend ausführlich beschrieben wird.